Wie entspannst du?
Warum mehr Arbeit nicht gleich mehr Erfolge bedeutet

Hustle Culture ist out – zumindest bei den meisten. Trotzdem fällt es uns oft noch schwer, zu entspannen. Warum ist Entspannung ein Recht, essenziell beim Erfolg im Beruf und nicht etwas, das wir uns zuerst verdienen müssen?
„Working 9 to 5, what a way to make a living, barely getting by. Itʼs all taking and no giving“, so lautet der Refrain von „9 to 5“ von der US-amerikanischen Sängerin Dolly Parton aus dem Jahr 1980. Sie zeichnet ein ziemlich düsteres Bild: viel arbeiten, viel geben und trotzdem
reicht es gerade noch so bis zum Monatsende. Zum Glück scheint sich der Diskurs heute etwas geändert zu haben. Wir werfen mit Buzzwords wie Mindfulness, Work-Life-Balance und Entschleunigung um uns. Aber bei der Umsetzung hapert es dann doch noch ein wenig. Wie war das noch mal mit den Pausen?
Kapitalismus und Schuldgefühle
Aber wer kann es uns verübeln? Leistungsdruck und Produktivitätszwang wurden uns fast in die Wiege gelegt. Unser Selbstwert ist oft an die Produktivität gekoppelt. Der Bösewicht dazu ist schnell gefunden: der Kapitalismus. Er zieht sich durch unsere Gesellschaft und Lebensrealitäten wie ein roter Faden, an den wir uns klammern. Nur wer etwas leistet und aktiv ist, wird bewundert. Menschen, die sich ausruhen, gelten schnell als weniger ambitioniert und faul. Das kann zu Selbstausbeutung oder Burnout führen. Wenn man sich aber doch entspannt, schleicht sich leicht ein Begleiter dazu: die Schuld. Der Trugschluss lautet: Man könnten die „freie“ Zeit für etwas Sinnvolleres nutzen.
Mehr ist nicht immer mehr
Langsam, aber sicher gibt es vor allem bei Millennials und der Gen Z ein immer besseres Verständnis für die Gefahren und Auswirkungen des Produktivitätszwanges. Hustle Culture oder Grind Mode, die immer nach mehr streben und Überarbeitung glorifizieren, sind out. Für viele war die Covid-19-Pandemie ein Wendepunkt. 2022 ergab eine Umfrage des Versicherungsunternehmens Prudential unter 2000 US-Arbeitnehmer*innen, dass 70 Prozent ihr Privatleben über ihre Arbeit und ihre Karriere stellen und 20 Prozent erklärten, dass sie bereit wären, Gehaltskürzungen in Kauf zu nehmen, wenn sie dadurch eine bessere Work-Life-Balance erreichen könnten. Auch Karriere-Coach Christina Strasser beobachtet diesen Wandel: „Besonders die älteren Generationen tun sich schwer, aktiv Pausen zu nehmen und auf ihre Bedürfnisse zu achten. Aber ich habe während der Corona-Pandemie einen generellen Shift durch die Generationen bemerkt. Der Wunsch, an etwas Sinnvollem und Selbsterfüllendem zu arbeiten, ist viel stärker geworden. Ebenso das Bedürfnis, die eigene Freizeit ernster zu nehmen.“
Pausen sind keine Zeitverschwendung
Zahlreiche Studien beweisen, dass regelmäßige Pausen sich extrem positiv auf den Arbeitsalltag und folglich die Karriere auswirken. Auch wenn es zunächst wie ein Widerspruch wirkt, weil man sich in der freien Zeit nicht auf die Arbeit konzentriert. Aber die Neurowissenschaft zeigt: Unser Gehirn braucht Pausen. In diesen Pausen werden Informationen verarbeitet, Stresslevel reguliert und Kreativität gefördert.
„Eine gute und richtige Pause bedeutet, dass man aus der aktuellen Tätigkeit herauskommt. Wenn ich ruhig vor dem Laptop sitze, sollte ich in der Pause aufstehen und mich bewegen. Umgekehrt, wenn mein Beruf sehr körperlich anstrengend ist, sollte ich mich in der Pause ausruhen. Beispiele dazu sind Stretchen, Spaziergänge oder Meditation“, erklärt die diplomierte psychologische Beraterin Christina Strasser. Bereits 15 Minuten reichen hier schon aus und können extrem hilfreich sein.
„Mach halt einfach“
In der Theorie kennen wir die Vorteile und Notwendigkeit von Pausen. Im Alltag ist es manchmal aber unmöglich. Die Deadline ist zu nah, der Druck zu groß oder es gibt nicht mal die Möglichkeit. Das kennt auch Julia. Ein Jahr lang musste sie eine Dreifachbelastung aushalten: Endphase des Masters in vergleichender Literaturwissenschaft, Verkaufsjob und Leitung eines Übersetzungsprojektes. „Ich musste es einfach durchziehen. Auch wenn ich wollte, gab es keinen Raum für Pausen oder Entspannung. Es war extrem anstrengend und isolierend.
Ich hatte am Ende des Tages keine Energie mehr, Leute zu treffen, oder kognitive Kapazitäten für irgendetwas anderes“, sagt die 28-Jährige.
Der ständige Stress und Mangel an Entspannung hinterließen Spuren in ihrem Alltag in Form von Konzentrationsschwierigkeiten und psychischer Erschöpfung. „Es ist wie eine Abwärtsspirale. Man ist bereits so erschöpft und kann das fast nicht mehr aufholen an freien Momenten. Dadurch wird es schwierig, das persönliche Glücksempfinden zu kultivieren und man handelt nur aus dem Mangel heraus.“
Davor warnt auch Christina Strasser: „Man muss unbedingt seinem eigenen Gespür vertrauen und sich darin ernst nehmen, wenn Pausen notwendig sind und für sich herausfinden, wie man am besten entspannt. Ansonsten kann ein Dominoeffekt einsetzen und im Extremfall ein Burn-out oder Depression entstehen.“ Entspannung und Pausen sind keine Privilegien, sondern essenziell für unser Wohlbefinden.
Umdenken
Der Fokus auf Entspannung und Pausen als wichtiger Bestandteil für einen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben und Weiterentwicklung zwingt uns auch zum Umdenken. Unterschiede bei den jeweiligen Branchen sind enorm. Einige Berufe, wie Arzt oder Ärztin, lassen kaum Erholung während der Arbeitszeit zu, bieten aber zumindest eine bessere Entlohnung. In Branchen wie der Gastronomie, Produktion oder Pflege gibt es hingegen oft strenge Schichtsysteme mit begrenzten oder vorgeschriebenen Pausen. Die Flexibilität fehlt. Diese strukturelle Ungerechtigkeit beeinflusst die Gesundheit und das Wohlergehen der Arbeiter*innen. Wer über Work-Life-Balance spricht, muss auch diese Realität anerkennen: Nicht jede*r kann sich eine Pause gönnen – auch wenn sie dringend notwendig wäre. Hier ist ein Umdenken im Arbeitsrecht gefragt.
Zukunft
Es zeigt sich, ein Umdenken ist auf allen Ebenen notwendig: persönlich, gesellschaftlich und seitens der Arbeitgeber*innen. Einige Unternehmen sind schon innovativ und integrieren konkrete Maßnahmen: Vier-Tage-Woche, flexible Arbeitszeiten und Möglichkeit auf Home-Office. Studien zeigen, dass sich diese Maßnahmen positiv auf Produktivität und Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen auswirken. „Wir müssen weg von den Schuldgefühlen bei Pausen kommen. Das muss bei der Führungsebene schon anfangen. Keine starren Arbeitszeiten mehr
und Pausen ohne schlechtes Gewissen sind notwendig, damit Mitarbeiter*innen wirklich Work-Life-Balance ausleben können“, mahnt Christina Strasser.
Julia würde Studierenden und Berufseinsteiger*innen ebenfalls raten, schon von Anfang an eine gute Entspannungsroutine zu haben und sich besser abzugrenzen. „Ich glaube, für eine nachhaltige Entspannung ist es wichtig, sich verschiedene Räume zu schaffen und die Sorgen dort zu lassen, wo sie hingehören – bei der Arbeit oder an der Uni – und nicht mit nach Hause zu nehmen. Auch wenn es manchmal schwerfällt.“
Es ist höchste Zeit, dass wir Entspannung nicht mehr als Belohnung, sondern als festen Bestandteil eines gesunden Arbeitslebens sehen. Pausen machen uns nicht faul – sie machen uns produktiver, kreativer und ausgeglichener. Unternehmen, Politik und Gesellschaft müssen mitziehen, damit Pausen nicht nur für einige möglich sind, sondern für alle. Ohne Pause läuft man irgendwann auf Reserve – und das hält niemand lange aus.
Dieser Artikel ist zuerst in unserem Karrieremagazin Rise erschienen.
Autorin: Jelena Čolić